Euphorisch-elektrisiert laufen wir durch Graz und wissen gar nicht, wo wir zuerst hinschauen sollen. Ein buntes Gewirr aus Straßenmusikern, Marktständen, Einheimischen, Touristen und lockender Leckereien an jeder Ecke strömt uns entgegen.
Bewaffnet mit unserem Stadtplan „For the Young Traveller“ stellt sich nur noch die Frage: „Green Walk“, „Old Town Walk“ oder „Hipster Neighbourhood Walk“?
Mindestens vier oder fünf Mal die Grazer Innenstadt erkunden – das nehmen wir uns vor, als wir hier Anfang September ankommen. Also satteln wir so oft es geht die frisch reparierten Fahrräder, fahren vorbei an Wäldern, Wiesen und Maisfeldern, bis unsere Großstadtherzen langsam wieder höher schlagen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Bäume sind toll, keine Frage und wir lieben es viel Zeit in der Natur zu verbringen – aber das eine oder andere Konzert, Theaterstück oder Museum zwischendurch ist auch mal was Feines.
Graz ist mit knapp 300.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Österreichs und Hauptstadt der Steiermark, wurde 1999 aufgrund des historischen Stadtkerns zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt, war 2003 Kulturhauptstadt Europas und ist seit März 2011 UNESCO City of Design.
Hört sich vielversprechend, oder? Und wir werden nicht enttäuscht, schlendern durch die Gassen, erklimmen den Schloßberg, der zwischen 1125 und 1809 als Festung diente, bestaunen die Aussicht und den Glockenturm und feiern unsere neuen Eindrücke bei einer unglaublich leckeren Portion Eis (Ein Tipp für alle, die es mal nach Graz verschlägt: Geht zu Eis Greissler in die Sporgasse!).
Und kulinarisch geht es weiter: Mit Picknickkörben bewaffnet strömen die Grazer nach Schloss Eggenberg.
Der Anlass? Das Ö1 Kulturpicknick. Ein ganzer Tag voll gepackt mit kostenlosen Konzerten, Lesungen und Führungen durch die Museen und die barocke Schlossanlage, die genau wie die Grazer Altstadt, zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Perfekt für uns. Zwar haben wir keinen Picknickkorb, aber wir füllen unseren Rucksack mit Quiche, die wir extra für das Picknick am Vortag gebacken haben (mit selbst geerntetem Kürbis aus dem Garten) und zwei Stück Heidelbeertorte.
Dennoch stehen auch wir uns wie andere gierige Besucher die Beine in den Bauch: der Gruß aus der Römischen Küche wird gleich im Archäologischen Museum serviert. Es gibt Conditum Paradoxum, einen Würzwein mit Honig, Safran, Pfeffer und Datteln und dazu Brot mit Epityrum – Olivenpaste. Abgerundet wird das alles schließlich von einem Konzert von Netnakisum (Streichtrio) feat. Matthias Schriefl (mehrfach ausgezeichneter Jazztrompeter) – einer verrückten Mischung aus Volksmusik, Weltmusik und Pop.
Weniger Weltmusik und Pop, aber dafür eine geballte Ladung an Volksmusik erwartet uns beim Aufsteiern Mitte September.
Wie jedes Jahr um diese Zeit, erobert die Steiermark an drei Tagen die Plätze und Gassen ihrer Landeshauptstadt. Wohin das Auge reicht farbenfrohe Trachten, typisch steirische Gerichte, geröstete Maroni, alles was man aus Kürbiskernen machen kann und Unmengen an ausgeschenktem Sturm, der erste Wein des Jahres.
Die ganze Stadt scheint zu Beben vom Rhythmus des Walzers. Und dann können auch wir nicht widerstehen: wir kramen unsere Walzer Schritte hervor und drehen beschwingt durch ein Gläschen Sturm unsere Runden.
Und damit nicht genug: Im Schauspielhaus besorgen wir uns Karten für Tankred Dorsts „Merlin oder Das wüste Land“.
Düstere Klänge stimmen uns auf die mittelalterlichen Mythen ein. Ein riesiger Mammutbaum überragt das Geschehen um Merlin, König Artus, die Tafelrunde und den Heiligen Gral. Ein Kampf zwischen Gut und Böse, bei dem die Welt am Ende in Trümmern liegt. Auch auf unseren billigen Plätzen ein wirklich beeindruckendes Stück.
Im Kunsthaus Graz werden wir mit vielen Gedanken und Gefühlen konfrontiert, die uns auf dieser Reise immer wieder beschäftigen. Das Kunsthaus zeigt zeitgenössische Kunst der letzten fünf Jahrzehnte und fällt vor allem durch seine biomorphe runde Form auf. Dieser „Friendly Alien“ bildet einen recht lustigen Kontrast zur historischen Umgebung. Schon an unserem ersten Tag in Graz wurden wir durch diesen Widerspruch angelockt.
Doch nun zieht uns die Ausstellungseröffnung „Corporate“ vom chinesischen Künstler Xu Zhen an.
Schon stehen wir mitten im ShanghART Supermarket, umgeben von Reihen an Produkten, die es in Shanghai in jedem 24/7-Minimarkt zu kaufen gibt. Allerdings ist alles nur Verpackung – der Inhalt fehlt. Xu Zhen hinterfragt mit diesen Produktfassaden den alltäglichen Konsum und welche Motivationen hinter Kaufen und Haben-Wollen stehen.
In Städten fällt es uns manchmal schwer, dieses Mehr-Haben-Wollen zu bekämpfen. Es strengt uns an, dass uns vielerorts suggeriert wird, dass es scheinbar immer noch ein Coffee to Go hier, ein Stück Torte dort oder das Neueste vom Neuesten sein muss, um glücklich zu sein. Dabei sind wir am zufriedensten, wenn wir so einfach wie möglich leben. Ausleben können wir das vor allem in der Natur, fern vom städtischen Trubel.
Genug von den Städten haben wir aber trotzdem noch nicht. Und so markieren wir den 4. Oktober dick in unserem Kalender: In Ljubljana haben dann nämlich alle Museen freien Eintritt.
Auf nach Slowenien!
2.3L OHC
Quadless
96 Pontiac
2005 Chevrolet