Wisst ihr, ich mag die Menschen des Balkans nicht. Viel zu entspannt. Den lieben langen Tag machen sie nichts anderes als rumzuhängen, Kaffee zu trinken und eine Zigarette nach der nächsten zu rauchen.
Sergej ist IT-Spezialist, gebürtiger Moskauer und arbeitet schon seit einigen Jahren in verschiedenen Balkanländern. Wir treffen ihn auf seinem Weg nach Belgrad. Mit den Einheimischen ist er bis jetzt nicht richtig warm geworden. Doch hat Sergej wirklich Recht? Sind die Cafés hier vor allem wegen der Faulheit der Menschen so gut gefüllt? In drei Wochen durch Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro und den Kosovo haben wir unsere ganz eigene Antwort gefunden und ziehen ein Resumé.
Beim Reisen versuchen wir, vor allem den Moment zu genießen.
Doch es kann manchmal vorkommen, dass unsere Aufmerksamkeit von der Gegenwart in die Vergangenheit abdriftet: So muss ich zum Beispiel, wenn ich irgendwo Weintrauben entdecke, sofort an die leckere Ernte bei Demis Familie in Slowenien denken. Rieche ich nassen Hund, sehe ich Amaru, Amalie und Beasie in Graz auf uns zu rennen. Und der Geschmack von Mandarinen lässt Flo wieder in Markos Garten in Umag stehen. Unsere Erinnerungen an die Länder, durch die wir reisen, sind stark mit unserem Geschmacks- und Geruchssinn verbunden. Und was wir mit dem Balkan wahrscheinlich am meisten verbinden, ist der Geschmack von Kaffee und der Qualm von Zigaretten.
Die Kaffeekultur ist hier sehr ausgeprägt.
Egal zu welcher Tageszeit wir an einem Ort ankommen (und er kann noch so klein sein): Es wird auf jeden Fall mindestens ein Café geben und ein freier Platz wird mitunter schwer zu finden sein. Auch die Stimmung ist oft ausgelassen. Es wird gelacht und gespielt, geredet und philosophiert. Und natürlich darf die fast schon obligatorische Zigarette nicht fehlen! Da kann sich das Trinken eines Kaffees auch gern mal über mehrere Stunden hinziehen. Doch das stört hier niemanden. Denn hier kommt der Kellner nicht nach einiger Zeit genervt an und fragt, ob man denn noch etwas bestellen will. Es ist völlig in Ordnung, einfach nur einen einzigen Kaffee zu trinken.
Darum gehen auch wir hier gern ins Café. Gerade mit Einzug des Herbstes, ist es nach unserem Frühstück im Zelt die erste morgendliche Anlaufstelle. Nach der einen oder anderen kalten Nacht, tut es einfach gut, sich ein wenig aufzuwärmen. Und dafür nehmen wir uns viel Zeit, erfahren die neuesten Nachrichten, rufen E-Mails ab, schreiben Blogartikel oder Postkarten und genießen die Annehmlichkeiten einer richtigen Toilette. Und das alles ohne ein schlechtes Gewissen. Wir ernten höchstens ein paar interessierte Blicke aufgrund unserer kuriosen Michelinmännchen-Bekleidung, samt Handschuhen und Mütze.
Das Café ist ein Ort, um zusammen zu kommen und das Leben zu diskutieren.
Voll sind die Cafés natürlich auch wegen der mitunter hohen Arbeitslosigkeit. Faul kommen uns die Menschen deswegen noch lange nicht vor. Wir haben eher das Gefühl, dass man sich hier gegenseitig eine große Stütze ist – auch in schlechten Zeiten. Und man teilt lieber seine Sorgen bei einem Kaffee, als allein im Wohnzimmer vor dem Fernseher zu versauern.
Doch auch auf Arbeit hat der Kaffee eine wichtige Rolle inne. Ein Einheimischer, mit dem wir uns lange austauschen, betont die Bedeutung der mittägliche Kaffeepause. Die kann sich gern etwas hinziehen. Und das sollte sie sogar. Denn dies ist die Zeit, in der sich die Arbeiter und Vorgesetzten gleichermaßen entspannt zusammen setzen und es einmal nicht um den Job geht. Man lernt sich immer besser kennen und das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl der Firma. Davon können am Ende alle profitieren.
Doch dem Kaffee wird auch in den eigenen vier Wänden viel Bedeutung zugemessen.
In Bosnien und Herzegowina zum Beispiel, ist das Kaffee trinken fest mit der Tradition der Gastfreundschaft verwachsen. Als wir in Sarajevo sind, lernen wir die magische 3-Kaffee-Regel der eigenen vier Wände kennen: Der erste Kaffee heißt den Gast willkommen. Der zweite Kaffee eröffnet ein tiefgründigeres Gespräch. Und der dritte Kaffee gibt dem Gast langsam aber sicher zu verstehn: Es war zwar schön mit dir, aber nun ist es wirklich an der Zeit, dass du uns wieder in Ruhe lässt.
Zwar kommen wir nie bis zu dem Punkt des dritten Kaffees, doch auch wir werden auf viele Tassen eingeladen. Obwohl wir den Menschen, die uns mitnehmen, schon wahnsinnig dankbar für jeden mit ihnen zurückgelegten Kilometer sind, lassen es sich viele nicht nehmen, uns zusätzlich auch noch einen Kaffee zu schenken. Und eine gemeinsame Pause. Dass es dabei um viel mehr als nur den Koffeingenuss geht, wird uns schnell bewusst. Der Kaffee wird zu einem Symbol der Gastfreundschaft, die sich nun nicht mehr nur im begrenzten Raum des Autos abspielt, sondern auch unabhängig von der Fahrt besteht.
Kaffee bedeutet für uns im Balkan vor allem eines: Entschleunigung.
Hier geht es nicht um den schnellen Kick. Hier sehen wir keinen mit Coffee to Go Becher im Anschlag und Geschmacksnerven auf Durchzug gestellt von einem Termin zum nächsten hetzen.
Nein, wir können Sergej nicht zustimmen. Uns hat die Kaffeekultur im Balkan sehr inspiriert. Und den besten Kaffee? Den gibt es für uns in Bosnien und Herzegowina.
(Headerbild: Bart Scholliers – unsplash.com)